Im dritten Teil unserer Reihe „Wie bin ich zu Videospielen gekommen?“ stellt heute unsere liebe Redakteurin Rae ihre persönliche Geschichte vor. Dabei spielt vor allem der grau-klobige Handheld von Nintendo eine Rolle, ein rosa LCD-Spiel als auch einige Liter Zombie-Blut. Nach Lesen des Artikels verstehen wir unsere Kollegin jedenfalls gleich viel besser – und ihr hoffentlich nach den folgenden Zeilen auch.
Meine Mutter hat Schuld. Daran gibt es keinen Zweifel. Immerhin hat sie während ihrer gesamten Schwangerschaft auf dem C64 meines Onkels gespielt, und wenn schon klassische Musik Einfluss auf Kinder im Mutterleib hat, dann kann das sicherlich mit Konsolenklängen doch nicht anders sein, oder? Zumindest rede ich mir das ein, denn das würde so einiges erklären. Anders als die meisten meiner Kollegen oder Freunde habe ich trotzdem nicht das Gefühl mit Videospielen aufgewachsen zu sein. Ihr Bedeutungsgewinn in meinem Leben war ein schleichender, zähflüssiger und für alle Beteiligten eher anstrengender Prozess. Schuld daran ist (neben meiner Mutter) vor allem einer: Der Gameboy.
Seit seiner ersten öffentlichen Erscheinung 1989 war er omnipräsent und es gab wohl kaum eine Person dieser Generation, die ihn sich nicht irgendwann in seinem Leben einmal gewünscht hat. Mein Wunsch befand sich schon weit über der Grenze zur puren Obsession. Ich wollte dieses Gerät so dringend haben, wie nur jemand unter zehn etwas unbedingt haben möchte. Es ging sogar so weit, dass ich mir aus Pappe den Handheld bastelte und mir beim Fahrradfahren vorstellte, die Steinchen, denen ich auswich, seien Aliens und mein Lenker wäre das Steuerkreuz, mit dem ich mein kleines Raumschiff in Sicherheit navigieren musste. Es ist dieser eine völlig irrationale Wunsch, der mich meine ganze Kindheit begleitete und die eine Antwort, die jeder, der mich fragte, was ich mir zu [Geburtstag/Weihnachten/beliebige Geschenkangelegenheit einfügen] wünschte, bekam: „Einen Gameboy!“
Als Kind, das in einem konsolenfreien Haushalt aufwuchs, wusste ich zum Glück meiner Familie noch nicht einmal von der Existenz von Atari, C64 & Co. Wenn man bedenkt, wie sehr sie schon unter meiner Faszination von Spielhallen und dem ständigen Gebettel sie betreten zu dürfen leiden mussten, dann ist das vielleicht auch besser so. Sowohl meine Eltern als auch mein Geldbeutel können von Glück reden, dass es kaum noch Arkaden gab, als ich alt genug war, sie besuchen zu dürfen.
Geburtstage und Weihnachten kamen und gingen und alles, was ich bekam, war eines Tages dieser Gameboy-Abklatsch-Teile mit nur einem Spiel: Die Schöne und das Biest. In Rosa. Für ein Mädchen, das sich schon den Karate-Actionman gewünscht hatte und sich stattdessen mit Rasier-mich-Ken (der für Karatemoves denkbar ungeeignet ist) zufrieden geben musste, war das eine weitere herbe Enttäuschung. Ich kann mich nicht daran erinnern, warum meine Eltern nicht wollten, dass ich einen Gameboy besitze, ich erinnere mich nur an ein sehr energisches „Nein!“
Es ist nicht einmal so, dass es gar keine Videospiele bei uns gab. Mein Vater schleppte diskettenweise (das sind diese flachen, viereckigen Teile voller Daten, die man ganz früher in Computer gesteckt hat, bevor es CDs, Downloads und USB-Sticks gab, liebe Kinder) Computerspiele an, die ich egal mit welcher Altersfreigabe spielen durfte.
Die ersten Spiele, an die ich mich noch richtig erinnern kann, sind Indiana Jones and the Fate of Atlantis und Doom 2. Besonders Letzteres gehörte zu den Lieblingsspielen meiner Kindheit, was etwas absurd ist, wenn man bedenkt, dass ich mich gleichzeitig weigerte, Prince of Persia zu spielen, weil ich das pixelige Blut gruselig fand … Jedenfalls war es ein guter Ausgleich zu meinen Barbies und dem verachteten Rasier-mich-Ken. Ich kann gar nicht mehr nachzählen, wie oft ich Doom 2 im Laufe der Jahre durchgespielt habe und auch, wenn ich manchmal Probleme habe zu sagen, was vor fünf Minuten war, die Cheatcodes und Maps für diesen Shooter kenne ich noch immer alle.
Zwar hatte ich immer nur eine sehr begrenzte PC-Zeit, aber wie jedes Kind wusste ich diese geschickt zu umgehen, indem ich einfach wartete, bis meine Eltern aus dem Haus waren, um Lara Croft auf ihren Abenteuern zu begleiten, von Zombies gefressen zu werden oder meiner späteren Sims-Leidenschaft zu frönen. Zu Zeiten, in denen mein Computer so langsam war, dass Hochfahren und Speichern eines Spielstands schon je knapp fünf Minuten in Anspruch nahmen, war das eine gefährliche Sache, die mir mehr als einmal ziemlichen Ärger eingebracht hat. Offenbar sind bestimmte Personen der Meinung, dass die Abenteuer einer digitalen Archäologin nicht so pädagogisch wertvoll sind wie ein tatsächliches Geschichtsbuch.
Trotz der nicht geringen Auswahl an Computerspielen verfolgte mich weiter die bereits angesprochene Gameboy-Obsession. Ich kann es bis heute nicht erklären warum, aber der klobige Handheld ließ mich nicht los. Zumindest bis zu meinem elften Geburtstag im Jahr 1997, als mein Wunsch nach ewigem Nerven endlich zu meinen Eltern durchgedrungen zu sein schien. Nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“ bekam ich nicht nur den grauen Videospieleklotz, sondern auch noch ein gutes Dutzend gebrauchter Spiele, die von Tetris über Super Mario Land bis hin zu Batman und Bart Simpson – Escape from Camp Deadly reichten. Die Gruseligkeit dieses Spektakels dürfte der des N64-Kindes in nichts nachstehen, was das leichte Zucken erklärt, das meine Eltern noch jetzt bekommen, wenn ich Spiele auch nur erwähne. Ich würde gerne behaupten, dass ich nach diesem Tag von meiner Besessenheit geheilt worden wäre, aber da ihr das hier gerade lest wissen wir alle, dass es eine Lüge wäre.
Meine Kindheit ist das beste Beispiel, dass elterliche Verweigerung ins absolute Gegenteil umschlagen kann und irgendwann einen Punkt erreicht, an dem auch die ursprüngliche Obsessionsbefriedigung nicht mehr genügt. Vor allem seit ich kein „Ja, du darfst“ mehr von meinen Eltern benötige, hat sich das Gleichgewicht zugunsten von Videospielen und Konsolen ziemlich verlagert.
Wie ihr seht, kann ich auf keine sonderlich spannende Geschichte, die sich bereits über Jahrzehnte erstreckt, zurückblicken. Ich war Gelegenheits-PC-Spieler, mein erster Handheld war ein Gameboy und meine erste Konsole eine Wii. Die meisten „Klassiker“ kenne ich nur aus Erzählungen, Emulatoren, iPhone-Remakes oder dem Museum.
Heute gehöre ich zu den PC-Gamern mit Ausflügen auf aktuelle Konsolen und Handhelds. Genretechnisch bin ich nahezu überall zu finden, egal ob Shooter, RPG, Point’n‘Click oder Wimmelspiel. Anders als in der Redaktion und im Freundeskreis oft gewitzelt wird brauche ich übrigens nicht unbedingt eine Zombie-Apokalypse, um glücklich zu sein. Manchmal reicht auch schon eine normale Apokalypse.
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Rae, ich finde dieses rosa LCD-Spiel zu “Die Schöne und das Biest” solltest du mal in einer unserer hoffentlich bald kommenden Studio-Ausgaben präsentieren! 🙂
Danke für deine Geschichte Rae.
Ich bin gerade dabei mal meine Geschichte aufzuschreiben. Werde ich Euch dann demnächst mal zukommen lassen.
Danke euch 😀
& Chris, ich werde mal gucken, was sich machen lässt ^^ Keine Ahnung, ob ich das Teil noch habe oder schon in meiner Frustration auf dem Flohmarkt verkauft habe. Aber *den* Gameboy habe ich noch 😉