Wer in den 70ern geboren wurde und aufgrund dessen die Möglichkeit hatte, die Entwicklung der digitalen heimischen Unterhaltung von den Kinderschuhen aus zu verfolgen, der kommt wohl immer wieder ins Staunen. Gerade wenn er sieht, was aus einem gelegentlichen Zeitvertreib mit Strichmännchen-Grafik und Midi-Getröte geworden ist. Die Videospiele-Industrie ist mittlerweile allgegenwärtig, befindet sich längst auf Augenhöhe mit Hollywood. Vielleicht sogar schon eine Stufe darüber, wenn man sieht, wie viele Videospiele als Vorlage für Blockbuster dienen. Es gibt digitale Helden, die verehrt werden wie Schauspieler. Die Merchandising-Maschinerie sorgt dafür, dass wir permanent auch mit Non-Gaming-Stuff versorgt werden. Accessoires und Gimmicks aller Orten, Romane und Actionfiguren werden zum Kauf angepriesen – und das schon längst nicht mehr als Nischenprodukt. Mag damals noch öfter Idealismus der Stein des Anstoßes zur Produktion eines Games gewesen sein, so ist es heute in erster Linie der Profit. Es gibt Suchtprävention und politische Killerspiel-Diskussionen. Das Videospiel ist im Alltag angekommen, mit all seinen positiven und auch vielen negativen Seiten. Das Videospiel wird ernst genommen.
Was machen diese Spiele mit uns? In gewissem Sinne haben sich damit schon viele Menschen aus wissenschaftlicher Hinsicht beschäftigt. Unter anderem auch Dr. phil. Rudolf Thomas Inderst und Peter Just. Ersterer promovierte über Vergemeinschaftung in MMORPGs und ist aktuell Ressortleiter für digitale Spiele beim Kulturmagazin Titel und letztgenannter studierte Amerikanische Kulturgeschichte, Psychologie und Wirtschaftsgeographie. Beide gemeinsam sind Herausgeber des Buches Contact • Conflict • Combat – Zur Tradition des Konfliktes in digitalen Spielen. Dabei handelt es sich augenscheinlich um eine Sammlung von studentischen Haus- und Seminararbeiten zum titelgebenden Thema.
Von der wissenschaftlichen Seite beleuchtet, wird unter psychologischen und soziologischen Aspekten gezeigt, wie Videospiele funktionieren. Die Beitragenden zeigen, wie sie unseren Geist beeinflussen – sowohl anregend, abstumpfend als auch desillusionierend.
Der ein oder andere mag jetzt denken: „Boah neeee … Schulliteratur hab’ ich täglich genug!“ Die Beiträge sind jedoch durchweg wohl und vielfältig ausgewählt. Auf ca. 270 Seiten sind 14 Autoren vertreten, davon drei englischsprachige. Inhaltlich geht es unter anderem um das umstrittene „No Russian“-Level in Call of Duty: Modern Warfare 2, in welchem man Undercover in den Reihen der Terroristen auf dem Moskauer Flughafen ein wahres Massaker anrichten kann. Ebenfalls ein Thema ist Turning Point: Fall of Liberty in Sachen Alternative Realität (Hitler-Deutschland überfällt die USA). Mit Prince of Persia: Warrior Within, BioShock, Half-Life 2 und World of Warcraft wird jedoch auch Fantasy bzw. Science-Fiction thematisiert. Die Themengebiete sind dabei so unterschiedlich wie die Schreibstile der Autoren. Der Einstieg weist zwar eine leichte Kaugummikonsistenz auf, spätestens der frische Beitrag von Christian Huberts jedoch wirkt wie ein Startschuss, das Buch bis zum Ende zu lesen.
Unterteilt sind die wissenschaftlichen Texte in ihre ebenso wissenschaftlichen Sparten: Innere Konflikte, Ideologische Konflikte, Ästhetische Konflikte, Narrative Konflikte und Metakonflikte. Fachbegriffe sind für den Anfänger mal mehr, leider auch mal weniger anschaulich erklärt. Der Leser bekommt jedoch nie das Gefühl, sich in einem Hieroglyphen-Konglomerat zu verlaufen. Wer sich ernsthaft mit den einzelnen Themen auseinandersetzt, für den hat die Sammlung auch einen gewissen Lernaspekt, wenn er sie nicht studientechnisch motiviert lesen sollte. Die englischsprachigen Beiträge sind bei einigermaßen soliden Sprachkenntnissen auch zu verstehen ohne in jedem Absatz ein Wörterbuch benutzen zu müssen.
Contact • Conflict • Combat – Zur Tradition des Konfliktes in digitalen Spielen dürfte wohl jeden interessieren, dessen liebstes Hobby bisher noch nie mit der notwendigen Ernsthaftigkeit behandelt wurde. Im vwh-Fachverlag für Medientechnik und -wirtschaft erschienen, mag die Zielgruppe wohl eigentlich nicht der Gamer als Konsument sein. Wer sich deswegen nicht sicher ist, ob er die stolzen 29,90 Euro für die Hardcover-Ausgabe investieren will, der sollte sich zuerst einmal in die Leseecke des Buchhändlers seines Vertrauens verdrücken und mal kurz reinschnuppern.
Anlesetipps: Christian Huberts – Zwischen 1 und 0; Sebastian Huber – The Art of War, The War of Art; Rudolf Inderst – Stoppt den Endsieg!
Sehr interessantes Buch, werds mir mal vormerken 🙂
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